Das grüne Sofa

Das grüne Sofa

 

Es ist schon lange her. Damals war ich zwölf. Wir wohnten in dem kleinen Berliner Vorort Lietzen. Mein Vater war ein begabter, wenn auch geschäftlich wenig erfolgreicher Möbelschreiner. Der Krieg war gerade vorbei und von jedwelchem Wohlstand konnte man kaum sprechen.

 

Vater war sehr früh aufgestanden an diesem Mittwoch im Mai und begann seine Arbeit. Er musste einen alten Schrank abschleifen, um ihn danach neu zu lackieren. Der alte Rotton war fleckig und das alte Holz war brüchig. Ich hatte schulfrei, die Gründe erinnere ich nicht mehr und befand mich ebenfalls in der Werkstatt. Vater hatte eine ruhige Art zu arbeiten, wenngleich er aber nicht gerne bei der Arbeit sprach. Er hatte einen Eimer mit Wasser geholt und einen Lappen. Diesen tauchte er in das Wasser und wischte sehr gründlich als erstes den Staub und Dreck von dem alten Möbelstück. Nach dem Säubern ließ er den Schrank ein bisschen trocknen und beschleunigte das Prozedere, indem er mit einem weichen, trockenen Tuch nachwischte. Als der Schrank trocken war, ging er mit grobem Schleifpapier daran, das Holz zu glätten. Er ließ sich viel Zeit dabei. Danach machte er mit einem sehr feinen Schleifpapier die Oberfläche glatt. Ich beobachtete ihn bei seinem Vorgehen, ging ihm jedoch nicht zur Hand, da er dies nicht gewollt hätte. Zuletzt holte er Holzlasur, die dem Möbelstück eine schöne, alt wirkende Farbe verleiht und trug jene vorsichtig mit einem feinen weißen Pinsel auf. Die zweite Schicht wollte er später auftragen und er öffnete die breiten Fenster der Werkstatt, um gut zu lüften.

 

Als Vater nach draußen blickte, bemerkte er eine alte Frau, die sich unserem Haus näherte. Als sie am Eingang stand, las sie unseren Namen an der Tür, klingelte und wartete. Vater verließ die Werkstatt und ging zur Tür, um zu öffnen. Ich folgte ihm vorsichtig. Vater öffnete die Tür. „Guten Tag“, sagte die Dame. „Sie wurden mir empfohlen.“ „Guten Tag“, sagte Vater, „wie kann ich Ihnen helfen?“ „Nun die Sache ist die: Ich habe ein altes Sofa zuhause, es ist nicht mehr so ganz in Ordung und wollte Sie fragen, ob Sie es reparieren könnten?“ Mein Vater stimmte zu, es sich anzusehen und wir begleiteten die Dame nach draußen.

 

Gemeinsam fuhren wir zum Haus der Dame, das wir nach etwa einstündiger Fahrt erreichten. Es wirkte eher wie eine Villa aus der Biedermeierzeit. Der großzügige Garten war teils verwildert und es waren einige Buchen und Apfelbäume zu sehen. Es roch nach Flieder und Lavendel und am Rande des Grundstücks wuchsen alte Brombeersträucher. Der Weg zum Hauseingang war mit groben Steinen gepflastert. „Möchten Sie bitte eintreten.“ sagte die Dame und so gingen wir hinein. „Bitte, ins Wohnzimmer, hier nach links.“ Das Wohnzimmer war ein länglicher Raum mit einer hohen Decke, das Parkett war gepflegt und es kam viel Licht durch die großen Fenster herein.

 

Etwa in der Mitte des Raumes stand es an der Wand: Ein etwas abgenutzt aber dennoch schön aussehendes, grünes Sofa. „Hier ist es.“ sagte die Frau. „Nun, was sagen Sie?“ „Kann man es wieder herrichten?“ „Ich denke ja.“ sagte Vater, nachdem er es genauer untersucht hatte. Also luden wir es auf Vaters Anhänger und fuhren zurück. Es war gegen Mittag, aber die Temperatur war noch angenehm. Wir fuhren an weiten Feldern und Wiesen vorbei, Klee war zu sehen und hie und da konnte man eine Drossel oder Amsel rufen hören. Wieder zurück luden wir das Möbelstück ab und brachten es gemeinsam in die Werkstatt. Vater nahm es nochmal genauer in Augenschein. Die Polster waren sehr durchgedrückt und auf einer Seite war ein Bein aus dunklem Holz angebrochen. Vater machte sich sogleich an die Arbeit, während ich die Werkstatt verließ und auf mein Zimmer ging. Gegen Abend ging ich wieder hinunter in die Werkstatt und sah mich im Schein der Glühbirne, die von der Decke hing, um. Vater hatte ganze Arbeit geleistet. Das grüne Sofa stand fest, das Bein war repariert und geleimt und die Polster waren wieder straff und fest. Vater war erschöpft und zufrieden. Er ging an diesem Abend früh zu Bett.

 

Wochen vergingen. Die alte Dame meldete sich nicht mehr, sie kam nicht vorbei, Vater schrieb einen Brief an ihre Adresse, der nicht beantwortet wurde. Irgendwann beschlossen wir nochmal zu dem Haus der Frau zu fahren und sie persönlich aufzusuchen. Also fuhren wir wieder den weiten Weg, es war inzwischen Sommer geworden und sehr heiß. Einzig ein leichter Nordwind brachte etwas Milderung. Wieder brauchten wir etwa eine Stunde, bis wir das Haus der Dame erreichten. Wir stiegen aus, gingen zum Eingang vor und klingelten. Keine Antwort. Wir versuchten es wieder. „Sie ist wohl nicht zu Hause“ sagte Vater. „Keiner da.“ Also fuhren wir wieder nach Hause.

 

Wir erfuhren etwa ein halbes Jahr später, dass sie verstorben war. Wir bekamen Post von ihrem Notar, der uns dies mitteilte. Er wusste offensichtlich von dem Sofa, da er schrieb, dass die nächsten Verwandten keine Verwendung dafür hätten und wir es wohl behalten könnten.

 

Heute steht dieses Sofa in meinem Wohnzimmer und wird immer noch benutzt. Es ist alt geworden, aber noch schön anzuschauen. Wenn ich es ansehe, denke ich an meine Kindheit zurück und was ich damit verbinde. Oft besitzen Gegenstände einen Wert, der sich dem unbeteiligten Betrachter kaum erschließt.

© 14.02.2009